Wie lange wird es noch „das Buch, wie wir es kennen“, geben?
Wieder eine spannende Frage aus dem Kreis unserer Leser: »Wie lange, meinen Sie, wird es noch „das Buch, wie wir es kennen“, geben?« wurden wir gefragt.
Kurze Antwort: So schnell wird das klassische Buch nicht aussterben.
Längere Antwort: Tatsächlich ist unbestritten, dass das Buch immer mehr Konkurrenz bekommt. Nie standen Autoren vielfältigere Möglichkeiten zur Verfügung, die eigenen Inhalte zu verbreiten: Hörbücher, E-Books, Weblogs, Podcasts und Teleclasses sind nur einige Beispiele dafür. Zudem wird es immer einfacher, Informationsprodukte komplett in Eigenregie zu erstellen – bei elektronischen Medien oder Print-on-Demand-Lösungen ist ein Verlag nicht mehr zwingend notwendig.
Und fallweise bieten die neuen Publikationsformen auch neue Freiheiten für die Konsumenten, die nunmehr nicht mehr unbedingt Leser sein müssen, sondern auch zu Zuhörern und Zusehern werden. Das Hörbuch für den MP3-Player lässt sich auch während der Autofahrt konsumieren. E-Book-Reader bieten – neben allen bisherigen Limitationen – neue, nützliche Funktionen: So kann die gezielte, übergreifende Suche in einem Fachbuchbestand gerade im Job oder im Studium äußerst nützlich sein. Schon heute Realität sind auch „interaktive“ Werkstatt-Dokumente, bei denen beispielsweise Ein- und Ausbauanleitungen animiert dargestellt werden.
Oder wie wäre es künftig mit dem Koch“buch“, dass Rezepte automatisch an die Zahl der gewünschten Portionen anpasst, aufwändigere Schritte im Video erklärt und zudem eine gezielt Suche nach Rezepten ermöglicht, die sich aus den Resten im Kühlschrank zusammenbasteln lassen? Ist das noch ein „Buch“ – oder schon eine Software? Die Grenzen verschwimmen.
Kochbücher und Kinderbücher sind hervorragende Beispiele dafür, dass Bücher „mehr“ sein können!
Aber genau hier zeigt sich auch, dass das klassische Verlagsprodukt Buch nie aussterben wird: Es wird immer Liebhaber geben, die edel gestaltete Kochbücher sammeln und sich ins Regal stellen wollen. Manche begeistern sich für Ausgaben mit beeindruckenden Fotos, andere für interessante Rezepte usw. Sie werden künftig noch stärker bereit sein, für Qualität und Exklusivität eine Menge Geld auf den Tisch zu legen. Und sie werden kein Interesse zeigen, wenn sie jemand auf eine viel preisgünstigere PDF-Ausgabe hinweist.
Interessant ist, dass mit der Vielfalt das Buch als gedrucktes Verlagsprodukt gewissermaßen „seine Unschuld“ verloren hat: Strategisch zu publizieren bedeutet, sich sehr genau Gedanken darüber zu machen, welche Inhalte in welcher Form veröffentlicht werden sollen. Da wird das E-Book zu einem Nischenthema zum spannenden Projekt, das man höchstens 50 Personen verkaufen kann – ein Verlag hätte sich nie an so etwas herangewagt. Oder der Vorteil besteht darin, viel schneller elektronisch publizieren zu können – wichtig bei aktuellen oder sich schnell ändernden Inhalten.
Die Digitalisierung und das Internet sorgen so dafür, dass es mehr Varianten gibt, Inhalte wirtschaftlich zu veröffentlichen. Und die Interessenten werden fallweise darüber abstimmen, wann sie welche Form bevorzugen. Für Buchverlage bedeutet das, dass sie künftig mehr darauf achten müssen, die Vorteile des gedruckten Buchs in die Publikationsprojekte einfliessen zu lassen. Wo diese Vorteile nicht erkennbar sind, werden Interessenten verstärkt zu Alternativen greifen.
Wie es gehen kann, das zeigt ein Blick auf den Markt für Kinderbücher: Popup-Books, aus denen Monster und Burgen in 3D herausspringen, „Fühl“bücher mit unterschiedlichen Materialien, die die Haptik ansprechen, eingearbeitete Folien, Spiegel und Kippbilder, die unterschiedliche optische Eindrücke ermöglichen, Wimmelbücher, Bücher für die Badewanne und nicht zuletzt Bücher mit Bausätzen und Non-Book-Elementen … versuchen Sie das mal in Audio umzusetzen oder den Kindern auf dem E-Reader vorzusetzen! Natürlich gibt es daneben auch Computerspiele und Lernprogramme, doch die Angebote ergänzen sich eher als dass sie sich kannibalisieren.
Als Fazit: Dort, wo das klassische Buch Vorteile gegenüber den Alternativen hat, wird es auch weiterhin bestehen. Wo aber diese Vorteile nicht transparent sind – oder sich gar im Vergleich zu Nachteilen entwickeln – werden künftig verstärkt neue Publikationsformen eigene Märkte finden.